Die Herstellung von Baustoffen wie etwa Zement und Beton trägt maßgeblich zu den weltweit emittierten Treibhausgasen, insbesondere von CO2, bei. Gleichzeitig gibt es so gut wie kein echtes Recycling in diesem Bereich. Bislang heißt es eher Down-Cycling statt Recycling: Aktuell werden in Deutschland lediglich 25 Prozent des anfallenden Bauschutts recycelt - trotz knapper Rohstoffe und eines Mangels an Baumaterialien. An dieser Stelle setzt das Verbundforschungsvorhaben "ReCyCONtrol" an, das an der Leibniz Universität Hannover (LUH) angesiedelt ist und an dem mehrere Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft beteiligt sind. Das Ziel ist es, neue Methoden zu entwickeln, die auf dem Einsatz von künstlicher Intelligenz und Computer Vision basieren, einer Methode zur Verarbeitung und Analyse von Bildern. Auf diese Weise soll eine hochwertige Nutzung des vorhandenen Bau-Abbruchmaterials ermöglicht werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt in den nächsten drei Jahren mit rund vier Millionen Euro.
Die Gründe für die Lücke im Baustoffkreislauf sind vielfältig, jedoch lässt sich eine Hauptursache identifizieren: Die Zusammensetzung des zu recycelnden Materials, der so genannten Rezyklate, unterliegt großen Schwankungen. Das wirkt sich negativ auf die Robustheit und Qualität der daraus neu hergestellten Betone aus. Diese Schwankungen in den Materialeigenschaften können zwar durch eine deutliche Steigerung des Zementgehalts (teilweise bis zu 20 Prozent) kompensiert werden. Dies ist jedoch weder wirtschaftlich noch ökologisch vertretbar. Der aus Umweltschutzgründen anzustrebende Einsatz von Rezyklaten steht somit in direkter Konkurrenz zur geforderten Reduktion der Treibhausgasemissionen bei der Betonherstellung.
Ein anderer Ansatz, diesen Schwankungen zu begegnen, stellt eine Abtrennung nachteiliger Bestandteile durch Siebung dar. Die Qualität der ausgesonderten Restmassen ist dann jedoch zumeist so gering, dass diese selbst für ein Down-Cycling nicht mehr geeignet sind und deponiert werden müssen. Auch dieser Ansatz ist daher nicht zielführend.
Zielsetzung des Projekts ReCyControl
Um verstärkt Betonrezyklate einsetzen zu können, will die Forschergruppe Technologien entwickeln, mit denen es gelingt, den Einfluss von unterschiedlichen Zusammensetzungen dieser Stoffe auf das Endprodukt kontinuierlich zu erfassen und auszusteuern, ohne dabei jedoch die Wirtschaftlichkeit und Umweltbilanz des Endprodukts negativ zu beeinträchtigen. Aus diesem Projektansatz leitet sich auch das Akronym "ReCyCONtrol" her, das die zentralen Begrifflichkeiten abbildet: "REcycling", "CYbernetic", "CONcrete" und "conTROL". Um die Betonproduktion auf den Standard Industrie 4.0 zu heben, sind künftig automatisierte, selbstlernende Prozessüberwachungs-, -steuerungs- und -regelungsmethoden erforderlich. Diese sollen mittels berührungsfreier Messsysteme die schwankende Zusammensetzung der Betonausgangsstoffe erfassen und darauf aufbauend die Eigenschaften des Endprodukts Beton durch Zugabe speziell abgestimmter Additive während des Mischprozesses aussteuern. Dafür will das Konsortium "ReCyCONtrol" gezielt derartige Techniken entwickeln. Beteiligt an dem Vorhaben sind die Unternehmen MBCC Group - Master Builders Solutions Deutschland GmbH (ehemals: BASF Construction Solutions GmbH), die Heidelberger Beton GmbH, die Pemat Mischtechnik GmbH, die Bikotronic Steuerungstechnik GmbH und die alcemy GmbH sowie die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) und die LUH (Institut für Photogrammetrie und GeoInformation, Institut für Baustoffe, Projektkoordination).
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler planen, zunächst das Strömungsverhalten des Betons während des Mischvorgangs mittels Computer Vision Methoden zu erfassen und hinsichtlich der vorliegenden Frischbetoneigenschaften auszuwerten. So soll es möglich sein, Daten über die genaue Betonzusammensetzung bereits unmittelbar im Mischer zu gewinnen und basierend darauf die Mischung gezielt durch Zugabe neuer Additive auszusteuern.
Mittels der kontinuierlichen Datenerfassung soll die Steuerungssoftware der Mischanlage dabei selbstlernend ausgelegt werden. Dies bedeutet, dass die Anlage mittels der gewonnenen Messdaten - innerhalb vorgegebener Grenzen - selbst lernt, wie die Mischung durch die Veränderung der Zusammensetzung am effektivsten ausgesteuert werden muss. Hierdurch kann nach Auffassung der Projektverantwortlichen die Ressourceneffizienz bei der Herstellung von Beton signifikant gesteigert werden.
"Das Forschungsthema ist für Industrie, Zertifizierer und Planungsstellen von großer Bedeutung", erläutert Prof. Dr.-Ing. Michael Haist (Institut für Baustoffe), der das Vorhaben gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Christian Heipke (Institut für Photogrammetrie und GeoInformation), und Industriepartnern entwickelt hat. "Es ist ein deutliches Signal für den Stellenwert des Forschungsvorhabens, dass wir aus sämtlichen beteiligten Industriezweigen Forschungspartner gewinnen konnten und darüber hinaus namhafte Unterstützer, die das Projekt mit ihrer Expertise begleiten", ergänzt Professor Heipke. Die Projektkoordination hat M. Eng. Dries Beyer übernommen, die Arbeitsgruppe Betontechnologie leitet M. Sc. Tobias Schack (beide Institut für Baustoffe). Die unterstützenden Unternehmen (Hochtief AG, Insensiv GmbH, Moß Abbruch-Erdbau-Recycling GmbH & Co. KG) begrüßen ausdrücklich das Forschungsvorhaben und sehen als Branchenführer in ihrem jeweiligen Fachgebiet einen deutlichen Mehrgewinn für zukünftige Aufgaben in der Baubranche.
Hinweis an die Redaktion
Für weitere Informationen steht Ihnen M. Eng. Dries Beyer, Institut für Baustoffe an der Leibniz Universität Hannover, unter Telefon +49 511 762 3258 oder per E-Mail unter d.beyer@baustoff.uni-hannover.de gern zur Verfügung.