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Kooperationsprojekt analysiert die Situation der Alternativfächer zum konfessionellen Religionsunterricht

Kooperationsprojekt analysiert die Situation der Alternativfächer zum konfessionellen Religionsunterricht

Presseinformation vom

Expertinnen und Experten fordern Verbesserung der religionskundlichen Anteile des Ethikunterrichts in Schulen

Enorme regionale Unterschiede, inhaltliche Lücken, fachfremde Lehrkräfte, oftmals fehlende Angebote in Grundschulen: Die Situation von Religionskunde an Schulen in Deutschland lässt nach den Ergebnissen eines religionswissenschaftlichen Kooperationsprojekts stark zu wünschen übrig. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Leibniz Universität Hannover (LUH) und der Universität Leipzig haben die Lage des Religionskunde-Unterrichts in Deutschland, in der Regel als Teil so genannter „Ersatzfächer“ angeboten, umfassend und überregional analysiert. Das Projekt wurde vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert, die Ergebnisse sind jetzt im „Handbuch Religionskunde in Deutschland“ (De Gruyter, 2023, hg. von Wanda Alberts, Horst Junginger, Katharina Neef und Christina Wöstemeyer) erschienen. Das Buch ist auch als open access-Publikation kostenfrei zugänglich: https://www.degruyter.com/document/isbn/9783110694536/html?lang=de

„Unser Ziel war es, die sehr komplexe und unübersichtliche Situation der religionskundlichen Anteile der Ethik-Unterrichte in Deutschland analytisch zu erfassen und wissenschaftlich zu reflektieren“, sagt Prof. Dr. Wanda Alberts vom Institut für Religionswissenschaft der LUH. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass die so genannten Alternativfächer zum Religionsunterricht in den Bundesländern in äußerst unterschiedlicher Form umgesetzt werden und in ihren religionskundlichen Anteilen oftmals sehr unbefriedigend und „in vielerlei Hinsicht erschreckend“ sind, so Wanda Alberts. Bei der Zusammensetzung des Handbuchteams wurde darauf geachtet, dass Religionswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler gewonnen wurden, die diese Analyse unabhängig von den Interessen religiöser Institutionen vorgenommen haben.

In fast allen Bundesländern gibt es ein Fach, das Schülerinnen und Schüler besuchen, die aus Gewissensgründen vom Religionsunterricht abgemeldet sind – ein so genanntes „Ersatzfach“. In den alten Bundesländern existieren diese Fächer seit den 1970er-Jahren, in den neuen Bundesländern seit Anfang der 1990er-Jahre. Während der Religionsunterricht grundgesetzlich verbürgt ist, sind die Ethikunterrichte indes reine Ländersache. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen, dass sich sehr unterschiedliche Pfade entwickelten: In den westdeutschen Bundesländern wurden in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl an Religionsunterrichten für religiöse Minderheiten eingeführt, etwa alevitischer, christlich-orthodoxer oder mennonitischer Unterricht. Der Ethikunterricht als Alternative zum Religionsunterricht wurde nicht maßgeblich gestärkt. In den neuen Bundesländern stellte sich die Situation anders dar, weil hier die Abmeldequote vom konfessionellen Religionsunterricht erwartungsgemäß so hoch war, dass man einen vollwertigen Ersatz anbieten musste. In Sachsen zum Beispiel besuchen etwa drei Viertel der Kinder und Jugendlichen den Ethikunterricht. Daraus resultiert, dass in den meisten neuen Bundesländern Ethik von der 1. bis zu 12. Klasse angeboten wird. In den alten Bundesländern hingegen wird in der Grundschule oft kein Ersatzunterricht angeboten.   

Die Autorinnen und Autoren fordern als eines der zentralen Ergebnisse ihrer Analyse eine Abkehr von der so genannten „Ersatzfach“-Rhetorik. Diese sei zu sehr der „alten Bundesrepublik“ verhaftet, in der in manchen Regionen diese Angebote tatsächlich nur Einzelfälle ansprachen. Inzwischen sprächen sie einen signifikanten Teil der Bevölkerung an und müssten konsequent umgesetzt werden. „Einer religiös ungebundenen, säkularen Religionskunde sollte ein selbstverständlicher Platz in der Schule zugewiesen werden - für alle Schülerinnen und Schüler“, sagt Prof. Wanda Alberts.

Zudem kritisieren die Autorinnen und Autoren die inhaltliche Gestaltung der religionskundlichen Anteile des Ethikunterrichtes, die oft stark verbesserungswürdig sei. Die säkulare Religionswissenschaft als Bezugswissenschaft müsse klarer eingebunden werden, da ihre Forschungsergebnisse und didaktischen Ansätze Grundlage für die Ausgestaltung von Religionskunde seien. In vielen Fachkonzepten werde Religion als etwas Fremdes oder sogar im Fall etwa des Islam oder Buddhismus als etwas Skurriles, Exotisches präsentiert. Hier mangele es oft an einem fundierten religionswissenschaftlich basierten Ansatz, der Religion als Teil von Lebenswelten in Gesellschaften ernst nehme – eine wichtige Bedingung auch für die Toleranzerziehung. Religionskundliche Inhalte müssten bereits in der Lehramtsausbildung deutlich stärker verankert werden, als dies derzeit der Fall sei, um den Lehrkräften einen professionellen Umgang damit zu ermöglichen. Zudem seien weniger fachfremde Lehrkräfte in den Ethikfächern wünschenswert, aber in Zeiten umfassenden Lehrkräftemangels müsse dies oftmals eine Wunschvorstellung bleiben.    

 

Hinweis an die Redaktion:

Für weitere Informationen steht Ihnen Prof. Dr. Wanda Alberts, Institut für Religionswissenschaft, am besten per E-Mail unter wanda.alberts@irw.uni-hannover.de  oder unter Telefon 0511 762 14118 (bzw. 0511 762 4026, Sekretariat) gern zur Verfügung.