Mit der Energiewende wird zunehmend Strom durch Windenergie- und Solarstromanlagen erzeugt. Als Folge liefern die klassischen großen, fossil befeuerten Kraftwerke immer weniger Strom. Die Komplexität der Stromnetze steigert sich weiter, wenn neben den regenerativen Energieerzeugungsanlagen die Stromnetze wie geplant ausgebaut werden und die Bestrebungen von Energieeffizienzmaßnahmen greifen. In diesem Transformationsprozess wächst der Anteil an Komponenten, die über Umrichter an das Stromnetz angeschlossen sind. Umrichter, und auch Wechselrichter, sind elektronische Systeme, die ohne mechanische Komponenten Strom, Spannung und Frequenz von Strom verändern können. Sie finden sich in allen elektronischen Systemen, wenn Energie in Stromnetzen gewandelt wird. Bei einer Solarstromanlage wird beispielsweise aus Licht ein Gleichstrom erzeugt. Dieser Gleichstrom wird in Wechselstrom gewandelt, bevor er in das Stromnetz eingespeist werden kann.
Es wird erwartet, dass in Zukunft immer weniger große thermische Kraftwerke mit ihren rotierenden Turbinen, Generatoren und Schwungmassen benötigt werden. Wichtig für die Stabilität der Stromnetze sind aber aktuell deren große mechanische Schwungmassen. Sie wirken stabilisierend auf das Stromnetz, vergleichbar mit einem drehenden Kreisel, der sich wieder aufrichtet, wenn er aus seiner stabilen Lage ausgelenkt wird. Doch wie verändern sich die Stabilitätseigenschaften des Stromnetzes, wenn es immer weniger rotierende Schwungmassen gibt? Und wie verändern sich dann die Ausgleichsvorgänge im Stromsystem mit seinen elektrischen, magnetischen und mechanischen Größen, die sehr unterschiedliche Änderungsgeschwindigkeiten und räumliche Ausdehnungen aufweisen. An dieser Stelle setzt das Forschungsvorhaben AMSES (Aggregierte Modelle für die Simulation von dynamischen Vorgängen in elektromechanischen Energiesystemen) an, ein gemeinsames Forschungsprojekt koordiniert vom Institut für Energieversorgung und Hochspannungstechnik der Leibniz Universität Hannover mit dem Institut für Antriebssysteme und Leistungselektronik, Institut für Turbomaschinen und Fluiddynamik, Institut für Theoretische Elektrotechnik und dem Leibniz Forschungszentrum Energie 2050 (LiFE 2050). Projektstart ist der 1. Januar 2015.
Die VolkswagenStiftung hat rund eine Million Euro aus dem Niedersächsischen Vorab als Fördersumme für AMSES bewilligt. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen die dynamischen Wechselwirkungen von elektrischen und mechanischen Komponenten in Stromnetzen bei wachsendem Anteil von erneuerbaren Energieträgern aus Wind und Sonne. Das Konsortium verfolgt dabei das Ziel, die Eigenschaften der Komponenten des Stromsystems zu modellieren und mit Hilfe von Simulationen die dynamischen Vorgänge in elektromechanischen Energiesystemen der Zukunft zu analysieren. Dabei wollen die Forscherinnen und Forscher wissenschaftliche Grundlagen ermitteln, um mit Simulationswerkzeugen Hinweise auf Probleme zu identifizieren, bevor diese auftreten.
Prof. Dr.-Ing. habil. Lutz Hofmann, Koordinator des Projekts und Leiter des Instituts für Energieversorgung und Hochspannungstechnik: „Der weitere Zubau einer Vielzahl von dezentralen und volatil einspeisenden Wind- und Photovoltaikanlagen und die gleichzeitige Verdrängung der großen fossil befeuerten Kraftwerke führen zu einer immer größer werdenden Komplexität und Veränderung der bei Störungen im Elektroenergiesystem auftretenden dynamischen Ausgleichsvorgänge. Eine zutreffende Simulation des dynamischen Verhaltens und eine darauf basierende Beurteilung der Stabilität des Gesamtsystems übersteigen den heutigen Stand der Forschung. Ziel von AMSES ist es, mit einem interdisziplinären Ansatz Lösungswege zur Simulation und Vorausberechnung von komplexen elektrisch-mechanischen Energiesystemen zu entwickeln, um Effekte und Wechselwirkungen, die erst aus der Interaktion der verschiedenen Betriebsmittel entstehen, in der Simulation vorauszuberechnen. Mit dieser Forschung leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Energiewende. “
„Ich freue mich sehr, dass wir mit der Bewilligung von AMSES einen interdisziplinären Ansatz verfolgen können, um neue Lösungswege zur Simulation und Vorausberechnung von komplexen elektrisch-mechanischen Energiesystemen aufzuzeigen. Auf Grundlage der Erkenntnisse werden wir diese Zusammenarbeit auch auf weitere Fachgebiete ausdehnen können, beispielsweise auf das komplexe Zusammenspiel mit Windenergieanlagen. Dieses Projekt ist ein schöner Erfolg für die Zusammenarbeit in unserem Energieforschungszentrum“, sagt Prof. Dr.-Ing. Axel Mertens, Leiter des Institut für Antriebssysteme und Leistungselektronik sowie Sprecher des LiFE 2050.
LiFE 2050 ist eine Einrichtung der Leibniz Universität Hannover. Ziel ist, die Energieforschung an der Universität zu bündeln und die interdisziplinäre und transdisziplinäre Forschung zu unterstützen. Mit mehr als 300 Wissenschaftlern aus sechs Fakultäten bilden die 21 Mitgliedsinstitute in den Bereichen Windenergie, Solarenergie, thermische Kraftwerke, Stromnetze und Elektromobilität aktuell fünf Forschungslinien. Die Forschungslinie Stromnetze stellt dabei durch die Stromverteilung eine Art Verbindungsglied im LiFE 2050 dar. Durch AMSES wird die Forschung zur Beherrschung der Ausgleichsvorgänge im Stromnetz gestärkt.
Hinweis an die Redaktionen
Für weitere Informationen steht Ihnen Prof. Dr.-Ing. habil. Lutz Hofmann, Institut für Energieversorgung und Hochspannungstechnik der Leibniz Universität Hannover, unter Telefon +49 511 762 2263 oder per E-Mail unter hofmann@iee.uni-hannover.de gern zur Verfügung.