Gottfried in a Nutshell #10

Silberrausch

In diesem Jahr herrschte ein "Silberrausch" an der Börse. Erstmals wieder seit 2013 brachten Gerüchte im Internet Silber ins Visier der Spekulanten. Die Folge war ein kurzfristiger Peak: In der Spitze kostete eine Feinunze (31,103 Gramm) des Edelmetalls 24,04 Euro.

Im "Silberrausch" schwelgte auch schon die Leibnizzeit. Das barocke Repräsentationsbedürfnis spiegelte sich in silbernen Preziosen und Tafelgeschirren ebenso, wie insgesamt die europäische Wirtschaft hauptsächlich von Silbermünzen angetrieben wurde. Wer in Adelskreisen etwas auf sich hielt, speiste standesgemäß von Silbertellern. Allerdings, so Kurfürstin Sophie, "die Ärzte täten gut daran solche zu verbieten, worin so viel Kupfer, das oft Grünspan darauf zu sehen ist, besonders wenn Essig in der Sauce war". Auch am Hof war eben nicht alles Silber, was glänzte!

Bergbau und Hüttenwesen waren die damalige High-Tech-Industrie, und der Harz war das führende Industrierevier Europas. Über 40 Prozent des Welfenhaushalts wurden vom Oberharzer Silberbergbau getragen. Als Gottfried Wilhelm Leibniz 1676 seine Stellung am Hannoverschen Hof antrat, fiel sein Blick schnell auf die bedeutenden Silbervorkommen und die umliegenden Eisenhütten als vielversprechende Einnahmequelle vor den Toren der Residenzstadt. Doch nicht ganz zufällig zeigen die in Zellerfeld geprägten Münzen aus Harzsilber gerne als Symbol den "Wilden Mann": Einen hünenhaften Waldmenschen mit wehenden Haaren und schwingender Keule. Die Harzer Bergleute waren hochspezialisiert und genossen einen ausgezeichneten Ruf in ihrem Metier. Gleichermaßen galten sie aber auch als raue Gesellen, die nicht gerade zart besaitet waren. Eher "von der Feder" als "vom Leder" (Bezeichnung für die technischen Bergbeamten, die unter Tage arbeiteten, abgeleitet vom sog. "Bergleder" zum Einfahren) war der junge Erfinder Leibniz. Er reiste in den Jahren 1680 bis 1686 und 1693 bis 1696 etwa 38-mal mit der Kutsche in den Oberharz und verbrachte dort insgesamt 173 Arbeitswochen. "Denn der Harz ist eine wahre Quelle der Erfahrungen und Entdeckungen in der Mechanik und der Physik; ich glaube, mit fünf oder sechs Praktikern aus dem Harz mehr entdecken zu können als mit 20 der größten Gelehrten Europas", schrieb er enthusiastisch. Leibniz sah deutliches Optimierungspotenzial in der bestehenden Montantechnik und war überzeugt, mit seinen neuartigen Inventionen den Bergbau schnell noch rentabler machen zu können. So schlug er sich auch gleich selbst - mit bis dahin nicht einem einzigen Tag Erfahrung im Bergbau - für das Amt des Maschinendirektors (Oberingenieur aller Clausthaler Gruben direkt unterhalb des Berghauptmanns) vor. Dies kam indes vor Ort nicht allzu gut an bei den erfahrenen Bergoffizieren im Harz. Dem Gesuch wurde nicht stattgegeben.

Gleichwohl mit großem technischem Erfindergeist entwickelte Leibniz über die Jahre verschiedene Verbesserungsvorschläge, um Wasser als Energieträger durch Wind zu ersetzen oder bei der Erzförderung Wasser zu sparen. Er erfand eine Windmühle, die sich selbständig in den Wind drehen sollte, baute eine horizontale Windmühle, die er aus Reiseberichten über China kannte, erwog den Einsatz einer Archimedischen Schraube und konstruierte konische Seilkörbe, für deren schneckenförmige Trommel er Vorbilder in der Uhrentechnik fand.

Jedoch, es herrschte auch schon mal dicke Luft zwischen dem praxiserfahrenen und eingeschworenen Bergamt im Harz und dem Erfinder aus Hannover. Man tat sich schwer mit den leibniz'schen Plänen, die den Bergoffizieren zu "artifiziell" (künstlich, schwierig) erschienen. Auf der einen Seite umriss Leibniz schnell und analytisch die Problemlagen, wenn man ihn nur ließ z. B. "wegen der difficultas, daß in der Winterzeit das Wasser nicht reservieret werden könne". Auf Seiten des Bergamtes aber insistierte man,doch bitte zunächst "den verlangenden effectus für augen zustellen", bevor man das leibnizsche Werk als ein "universales Werk practicire". Da das Bergamt für einen Dauerbetrieb und für die gewinnorientierte Metallproduktion der Gruben, sowie für die Sicherheit der Bergleute Sorge tragen musste, stand man Testläufen mit Prototypen generell skeptisch gegenüber. Leibniz führte gegenüber dem Bergamt an, dass man sich in einer Projektphase befinde und die technischen Mängel nach und nach behoben würden, "weil bey Neüen dingen stufenweise und nicht per extrema zu gehen". Verständlicherweise waren aber die ohnehin meist unterbezahlten Bergleute aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit auf eine sofortige praktische Umsetzung und schnelle Ausbeute der Gruben angewiesen und konnten kaum finanzielle Einbußen hinnehmen. So war das Verhältnis zwischen Leibniz und den Harzer Bergleuten, die allgemein dafür bekannt waren, bei ungerechter Behandlung gegenüber ihren Vorgesetzten beherzt und heftig zu reagieren, nicht gerade spannungsfrei. Da das Bergamt nicht in der Landeshauptstadt, sondern mitten im Bergbaugebiet ansässig war, bestand zwischen den Bergbeamten und den Bergleuten ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Bergbau ist Teamarbeit. Der Außenseiter Leibniz konterte mit Eingaben und Denkschriften, den Mitteln des Hofmanns. Trotzdem - oder gerade deswegen: Er musste sich hinten anstellen in der Bergverwaltung. Auf Materialien und Holz warten, bis er eben dran war.

Aber gerade über diese Spannungsfelder, im bestehenden Dissens und Dialog wird Leibniz für uns sichtbar. Seine Denk- und Vorgehensweise: Trotz Rückschlägen weitermachen. Immer wieder neu- und umdenken. Unermüdlich tat Leibniz neue Ideen auf. Oft mit sehr modernen Ansätzen. Nachhaltig und energieeffizient waren seine Vorschläge. Auch Leibniz' Ideale werden sichtbar: Zur Förderung des "gemeinen Besten" wollte er technische Verbesserungen entwickeln. Aus dem Gewinn die Forschung fördern und in den Aufbau einer wissenschaftlichen Akademie investieren. Beim Zaren setzte er sich für einen Montantechnologietransfer nach Russland ein und schlug einen personellen Ausstauch von "Kunsterfarnen" vor.

Heute erinnert uns noch die Kulturlandschaft an den einstigen "Silberrausch" im Harz z. B. das Oberharzer Wasserregal. Die Bergwerke wurden nach und nach stillgelegt. Einige von Leibniz' Ideen leben aber fort: Das Konzept der Unterkette zum Gewichtsausgleich, der konischen Trommel und der beim Schachtabteufen eingesetzten Bobine (Wickeltrommel) zum Momentenausgleich wurden im Bergbau Stand der Technik. Mit dem Rezyklieren der Aufschlagwässer über Horizontalwindmühle und der Anlage von Sparteichen nahm Leibniz die Idee der heutigen Pumpspeicherkraftwerke vorweg. So war Leibniz, wie so häufig, seiner Zeit voraus.

Glück auf!

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Dr. Ariane Walsdorf
Referat für Kommunikation und Marketing
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