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Leibniz' Blick aufs Universum

Gottfried Wilhelm Leibniz‘ Blick auf das Universum

Foto des Sternenhimmels Foto des Sternenhimmels Foto des Sternenhimmels © Dev Benjamin (unsplash.com)

2000 Jahre lang hatten die Menschen an das geozentrische Weltbild von den Himmelssphären des griechischen Philosophen Aristoteles (384 v. Chr. -322 v. Chr.) geglaubt, mit der Erde und den Menschen als Mittelpunkt des Universums. Mit den Schriften von Claudius Ptolemäus (ca. 100-ca. 170 n.Chr.) fand es Eingang in die mittelalterliche europäische – vor allem religiöse - Literatur. In den folgenden Jahrhunderten revolutionierte Nikolaus Kopernikus‘ (1473-1543) These, dass sich die Erde um die Sonne dreht, unsere Sicht auf die Welt. Erstmals rückte die Bedeutung des Menschen aus dem Zentrum des Kosmos‘ an den Rand. Es begann eine der bemerkenswertesten Perioden der Geschichte: Die wissenschaftliche Revolution. Der religiöse Glaube wurde durch wissenschaftliche Argumente in Frage gestellt. Mit dem Blick durch das Fernrohr sah Galileo Galilei (1564-1642) mit eigenen Augen, dass die Venus in Phasen – ähnlich denen des Erdmondes – an unserem Himmel erschien: Ein Beweis dafür, dass die Venus die Sonne umkreist, und ein weiterer Beitrag zur Durchsetzung des heliozentrischen Weltbildes. Johannes Kepler (1571-1630) berechnete schließlich die elliptischen Kreisbahnen der Planeten unseres Sonnensystems. Dies mit Hilfe der bei Beobachtungen des Sternenhimmels aufgezeichneten Daten des dänischen Astronomen Tycho Brahe (1546-1601).

Im 17. Jahrhundert, zur Leibnizzeit, herrschte die Auffassung, dass es nicht dem Menschen, sondern Gott allein vorbehalten sei, die Wahrheit über die Natur zu kennen. Demzufolge können Erkenntnisse über die Natur, unsere Erde und das Universum nur in der Botschaft der Offenbarung, also in der Bibel geborgen liegen. Alle aufgrund wissenschaftlicher Forschung erlangten Erkenntnisse galten nur als Hypothesen ohne Wahrheitsanspruch.

Gottfried Wilhelm Leibniz, der ein bekennender Anhänger der empirischen Wissenschaft war, genügte dies nicht. Er überwand diesen Zwiespalt in Anlehnung an die französischen Naturphilosophen René Descartes und Pierre Gassendi mit einer theologisch-philosophischen Argumentation:  Da Gott den Menschen die Vernunft gegeben hat, ist es ihnen möglich, auch neben der Heiligen Schrift Einsicht in die vollkommene Einrichtung der Schöpfung zu erlangen. Christlicher Glaube und Wissenschaft waren für Leibniz nur zwei Varianten der Wahrheitsfindung.

Leibniz‘ rationalistische Metaphysik ist getragen vom Gedanken der Harmonie und Schönheit eines unendlichen „Weltenorganismus“. Dahinter steht die Grundidee, dass alles Seiende mit unabänderlichen, logischen, vernünftigen und auf mathematischen Grundlagen basierenden Gesetzmäßigkeiten durchzogen sei. Dies, so Leibniz, schließe auch das Übel als Notwendigkeit ein, welches sich aber schließlich im harmonischen Kosmos auflöse. Denn Gott habe alles perfekt aufeinander abgestimmt und so die „beste aller möglichen Welten“ geschaffen.

Dieses Gedankenmodell führte Leibniz weg von einer Fokussierung auf den Menschen, unsere Erde, unser Sonnensystem oder das „bekannte Universum“ hin zu einer größeren Idee: ein unendlicher Raum mit unendlichen Möglichkeiten für „unzählige Universen“ mit vielen „vernunftbegabten Geschöpfen“. Alle verbunden durch eine umfassende Ordnung, die nur Gott gänzlich überschauen könne.

Der Gedanke von „Multiversen“ hat uns heute durch die theoretische Physik neu inspiriert.


„Den Alten erschien nur unsere Erde als bewohnt, […] die ganze übrige Welt bestand ihrer Meinung nach aus einigen leuchtenden und einigen kristallischen Kugeln. Heutzutage aber muß man, welche Grenzen man auch dem Weltall zu-oder abspricht, anerkennen, daß es unzählige Erden gibt, von derselben und noch größerer Ausdehnung als die unsrige, und daß diese ebensowohl Anspruch auf vernünftige Bewohner haben, obgleich es keine Menschen zu sein brauchen. Die Erde ist nur ein Planet, d. h. einer der sechs Haupttrabanten unserer Sonne; und da alle Fixsterne ebenfalls Sonnen sind, so sieht man, wie wenig Bedeutung unserer Erde unter den sichtbaren Dingen zukommt, da sie doch nur ein Anhängsel eines derselben ist. Möglicherweise sind alle Sonnen von seligen Geschöpfen bewohnt, und nichts zwingt uns zu glauben, hier gäbe es viele Verdammte; genügen doch wenig Beispiele und Proben, um aufzuzeigen, welchen Nutzen das Gute aus dem Bösen zieht. Da wir außerdem keinen Grund zu der Annahme haben, überall seien Sterne; kann es da nicht einen großen leeren Raum jenseits der Sternenwelt geben? Ob dies nun der Feuerhimmel ist oder nicht, genug, dieser ungeheure, die ganze Welt umgebende Raum kann von Glück und Seligkeit erfüllt sei. Man kann ihn als einen ganzen Ozean betrachten, in den sich die Ströme aller seligen Kreaturen ergießen, wenn sie innerhalb der Sternenwelt zur Vollkommenheit gelangt sind. Was wird da aus der Betrachtung unserer Erde und ihrer Bewohner? Ist sie nicht unvergleichlich weniger als ein physischer Punkt, da man doch unsere Erde, verglichen mit der Entfernung einiger Fixsterne, nur wie einen Punkt betrachten kann? So verliert sich der bekannte Teil des Universums, verglichen mit dem unbekannten, den wir dennoch annehmen müssen, beinah in Nichts, und alle Übel, die man uns entgegenhalten kann, haben nur Geltung, bezogen auf dieses Beinah-Nichts: muß man da nicht sagen, daß alle Übel, verglichen mit den Gütern dieser Welt, auch nur ein Beinah-Nichts sind?“

Gottfried Wilhelm Leibniz