Gottfried in a Nutshell #8

Leibniz’ Enigma

Im Januar 2021 machten Taucher auf dem Grund der Ostsee bei Schleimünde (Kreis Schleswig-Flensburg) einen aufsehenerregenden Fund: Verborgen unter Schlamm und Seetang förderten sie sechs "Enigmas" aus dem Zweiten Weltkrieg zu Tage.

Die deutsche Wehrmacht, vor allem die Marine, setzte die Chiffriermaschine zur Verschlüsselung des geheimen Nachrichtenverkehrs ein. Die "Enigma" (griech. "Rätsel", "Geheimnis") galt als unentschlüsselbar. Alan Turing, genialer britischer Mathematiker und Kryptoanalytiker, knackte bekanntlich in Bletchley Park den "Enigma"-Code und beschleunigte damit vermutlich das Kriegsende um Jahre, was zigtausenden Menschen das Leben rettete. Bei der Dechiffrierung der Codes nutzte Turing auch Mustererkennung mittels wiederkehrender Buchstabenfolgen der Nazi-Funksprüche, wie "Wetter für die Nacht" oder "Heil Hitler" am Ende jeder Nachricht. Die Geschichte ist legendär.

Wer nun etwa glaubt, Agenten, Spionage- und Geheimdienste seien eine Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts, der irrt sich gewaltig. In der "République des Lettres" gehörte die politische Spionage ebenso dazu wie Ideenraub von Erfindungen, die kunstvolle Täuschung und das Streuen von Falschinformationen. Unter dem Namen "Schwarzes Cabinet" (französisch "Cabinet noir") operierten zur Leibnizzeit längst in England, Frankreich und deutschen Landen Geheimdienste für die Regierung. Das systematische Abfangen fremder Diplomatenkorrespondenz war dabei an der Tagesordnung. Die aus- oder eingehenden Briefe wurden von den Agenten geöffnet, eingesehen, abgeschrieben, wieder verschlossen und in den Postverkehr zurückgeleitet. Der fachmännische Umgang mit Siegellack, Siegeln und Siegelstempel gehörte dabei ebenso zur täglichen Routine wie die Ausbildung in Kryptographie. Das Haus Braunschweig-Lüneburg richtete ab 1694 ein erstes geheimes "Schwarzes Cabinet" in Celle ein. Leibniz war sich über die mitlesenden 'Spitzel' durchaus bewusst. "Was Briefen so alles begegnen kann, habe ich selbst erfahren", schrieb er, und riet seinem Briefpartner in China, brisante Informationen durch alphabethische Verschlüsselung mittels eines Schlüsselwortes z. B. "LABYRINTHUS" zu codieren. Briefe oder Schriften mit heiklem Inhalt, die nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden sollten, verfasste er lieber unter Pseudonymen: "Wallendorp" oder "de la Vallée" sind bekannt. Auch über Zahlencodes und unsichtbare Tinte machte sich Leibniz Gedanken, um sein Briefgeheimnis zu wahren. Hier war er nicht der einzige, zeitweise stand auch die Privatsphäre der 'Royals' unter Beobachtung. Deshalb verwendete Sophie Dorothea (verheiratet mit Kurprinz Georg Ludwig) in ihren flammenden Liebesbriefen an den schneidigen Philipp Christoph Graf von Königsmarck lieber Zahlenchiffren bei Nennung der hannoverschen Protagonisten. Jedoch, die amourösen Briefe wurden entschlüsselt und dienten als Beweisstücke der verbotenen Liebe. Das traurige Ende: Königsmarck wurde ermordet, Sophie Dorothea nach Schloss Ahlden verbannt. Georg Ludwig bestieg den englischen Thron (an seiner Seite seine langjährige Mätresse Ehrengard Melusine Gräfin von der Schulenburg) und erklärte in England, er sei Witwer.

Natürlich war sich Leibniz darüber bewusst, dass die manuelle Chiffrierung nicht sehr sicher war. Eine sog. monoalphabetische Substitution verwendet nur ein einziges Geheimalphabet, und ein Klartextbuchstabe wird stets in denselben Geheimtextbuchstaben verschlüsselt. Leibniz kam auf eine fantastische Idee: Was wäre, wenn eine Maschine eine komplexere Verschlüsselung übernehmen könnte? So schlug er bereits 1688 Kaiser Leopold I. bei einer Audienz in Wien die weltweit erste "Machina deciphratoria" vor: "[Sie] ist eine kleine Machinula die leicht bei sich zu fuhren. Darauff kann ein grosser herr viele fast unauflössliche Ciphern zugleich haben, und mit vielen Ministris correspondieren [welches normalerweise] muhsam [ist] so besteht [jetzt] die facilitat [Einrichtung] darinn, dass man die gegebenen Ziphern oder Buchstaben nur greiffen darff als wenn man auff einen clavicordio oder Instrument spielte, so kommen die begehrten [Buchstaben] augenblichlich heraus und stehen da; durffen dann nur abgeschrieben werden." Leibniz' Chiffriermaschine sollte, wie die "Enigma", eine Tastatur [ "claviocord" ] besitzen, transportabel und leicht bedienbar sein. Außerdem solle sie "aus gleichen principio", wie die von ihm erfundene Rechenmaschine sein. Verfolgt man diese Idee, könnte eine Maschine durch Rotation von Walzen (z. B. durch die Staffelwalze, wie in der Rechenmaschine) jeden Buchstaben auf eine andere Weise verschlüsseln, nämlich polyalphabetisch. Ein genialer Gedanke, der in der "Enigma" elektromechanisch realisiert wurde. Herzstück der Chiffrierung sind hier drehbare Walzen. Gibt man einen Buchstaben ein, werden die Walzen entsprechend ihrer elektrischen Verkabelung auf bestimmte Weise gegeneinander verdreht. Daraus ergibt sich der verschlüsselte Buchstabe. Da sich die Position der Walzen bei jeder Eingabe ändert, wird z. B. ein "L" selbst innerhalb desselben Textes jedes Mal als anderer Buchstabe verschlüsselt.

Ähnlich hätte auch Leibniz' Chiffriermaschine funktionieren können. Ein Nachbau der Maschine befindet sich heute in der Leibniz-Ausstellung der Leibniz Universität und vermittelt uns einen Eindruck von den Anfängen der maschinellen Kryptographie. Ob Leibniz seine "machina deciphratoria" wirklich zum Einsatz gebracht hat, ist nicht sicher.

Nachbau der Machina Deciphratora Nachbau der Machina Deciphratora Nachbau der Machina Deciphratora © Leibniz Universität Hannover
Leibniz' Chiffriermaschine: Nachbau, Klaus Badur und Wolfgang Rottstedt, Dauerleihgabe der Fritz Behrens Stiftung Hannover, Leibniz-Ausstellung, LUH. Die Buchstaben eines Geheimtextes werden mit Hilfe von polyalphabetischen Substitutionen mit jeweils sechs Buchstabenstreifen ver- und entschlüsselt. Durch die sechs axialen Stellungen der Staffelwalze mit 12/10/8/6/4/0 Zähnen auf sechs Zahnkränzen sind 4320 Verschlüsselungen möglich.

Fest steht, sie war Leibniz' bestgehütetes Geheimnis, gedacht für Könige und Kaiser. Sicher hätte auch Londons "black chamber" für die "Enigma" der Leibnizzeit Verwendung gehabt. Kurz vor seinem Tod soll Leibniz noch Kontakt mit einem ihrer Kryptographen gehabt haben. Aber dies ist 'top secret'!

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Dr. Ariane Walsdorf
Referat für Kommunikation und Marketing
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