In einer großen europäischen Forschungskooperation ist es erstmalig gelungen, mit einer transportablen optischen Atomuhr das Gravitationspotential der Erde zu messen. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für zukünftige Höhenmessungen der Erde - ohne die distanzabhängigen Messunsicherheiten der traditionellen geodätischen Verfahren. Optische Atomuhren sind hochkomplizierte Apparaturen und waren bislang nur in den Laboren einiger großer Forschungsinstitute zu finden. Die transportable optische Strontiumuhr der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB, PD Dr. Christian Lisdat) eröffnet jetzt erstmals Messungen "im Feld". Wissenschaftler des Instituts für Erdmessung (IfE) der Leibniz Universität unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Jürgen Müller waren mit geodätischen Referenzmessungen maßgeblich an dem Kooperationsprojekt beteiligt.
Für die Messkampagne, die von Experten aus England, Italien und Deutschland durchgeführt wurde, ist die Uhr ins Modane Underground Laboratory im Fréjus-Tunnel zwischen Frankreich und Italien gefahren worden. Dort maß das Team die Differenz der Gravitationspotentiale zwischen dem Standort der Uhr im Inneren des Berges und einer zweiten Uhr im 90 Kilometer entfernten Turin - mit einer Höhendifferenz von rund 1000 Metern. Grundlage der Messung ist Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie: Uhren, die näher am Erdmittelpunkt sind, ticken etwas langsamer als Uhren, die weiter davon entfernt sind. Daraus resultierend lassen sich die Höhenunterschiede ermitteln.
Dr.-Ing. Heiner Denker vom Institut für Erdmessung und seine Kollegen haben parallel die Gravitationspotentialdifferenz zwischen den Uhren mit konventionellen geodätischen Messmethoden bestimmt. Dafür waren sie über mehrere Wochen in schwer zugänglichen Gebieten im Hochgebirge unterwegs. Die Auswertung zeigte: Die Ergebnisse beider Messungen waren konsistent.
"Die neuen optischen Uhren haben das Potenzial, geodätische Höhenmessungen zu revolutionieren und einige Beschränkungen der traditionellen geodätischen Techniken zu überwinden", erläutert Heiner Denker. Die bisherige Methode des so genannten geometrischen Nivellements erlaubt Messungen über Zielweiten von lediglich 30 Metern. "Man arbeitet sich also nach und nach vor und erzeugt dadurch irgendwann eine recht große Ungenauigkeit", sagt Denker. Die Technik der optischen Uhren ist hingegen nicht von Entfernungen abhängig.
Vor allem für die Etablierung eines weltweit einheitlichen Höhenreferenzsystems eröffnet die Methode ganz neue Möglichkeiten. "Im Moment hat jedes europäische Land praktisch sein eigenes Höhensystem", erläutert Denker, "60 Meter über N.N. in Hannover bedeutet etwas anderes als die gleiche Angabe in Belgien." Der Grund dafür sind Unterschiede im Höhenniveau des Meeresspiegels, der als Referenz für Normalnull dient. Der Pegel des Mittelmeeres ist ein anderer als der der Nordsee. So entstehen von Land zu Land Höhenunterschiede teilweise von bis zu 50 Zentimetern, je nachdem, welchen Standort das Land als Bezugspegel festgelegt hat - ungünstig zum Beispiel für internationale Bauprojekte. "Bei einer Brücke zwischen Deutschland und der Schweiz hatte man aufgrund fehlerhafter Umrechnung starke Abweichungen bei den Pfeilerhöhen."
Um die transportablen optischen Uhren tatsächlich in der Praxis einzusetzen, müssen sie allerdings noch deutlich genauer werden. Daran unter anderem soll in einer Fortsetzung des Projekts gearbeitet werden, an dem auch der Sonderforschungsbereich geo-Q der Leibniz Universität beteiligt ist.
Ein ausführlicher Artikel über das Forschungsprojekt in englischer Sprache ist im Journal Nature Physics (2018) erschienen und unter folgendem Link abrufbar: doi.org/10.1038/s41567-017-0042-3
Hinweis an die Redaktion:
Für weitere Informationen steht Ihnen Dr.-Ing. Heiner Denker, Institut für Erdmessung, unter Telefon +49 511 762 2796 oder per E-Mail unter denker@ife.uni-hannover.de gern zur Verfügung.